Da dachten wir doch, wir hätten die Vendée Globe in den letzten Tagen hautnah mitbekommen – doch weit gefehlt!
Wir hatten uns nun doch entschieden, hierzubleiben und zu warten, bis Boris Hermann einläuft. Die Tage dazwischen haben wir uns mit Regenspaziergängen, Schwimmbad und Kino vertrieben (toller Film, läuft in Deutschland auch als „Die großen und die kleinen Töne“) und mühten uns ab, unsere Sachen und den langhaarigen Hund in der Jule, unserem kleinen Wohnmobilchen, trocken zu kriegen.
Vom Stellplatz aus geht es in zwei Minuten Fußweg zum Vendée Globe-Dorf (Village), das klingt hochtrabend und besteht aus Festzelt, einem Vorplatz mit ein paar Buden für Hungrige und Durstige sowie Fan-Artikel, dann ein Zelt fürs Fernsehen, die überdachte Tribüne und natürlich den Zugang zum Siegerponton.
Doch alles liegt da wie tot, das Village ist geschlossen – es schüttet und stürmt. Und es stürmt dermaßen, mit 60 Knoten Wind und sechs Meter hohen Wellen, dass die beiden letzten Ankommer nach Durchsegeln der Ziellinie zum Schutz in den Hafen von La Rochelle etwas weiter südlich fahren mussten. Hier nämlich war die Einfahrt gesperrt, zu hohe Wellen, Grundseen, Kentergefahr selbst bei Hochwasser!
Und entlang der Kante dieses Sturms müssen nun Boris Hermann und Samantha Davies von der Spitze Nordspaniens, Finisterre, quer durch die Biskaya bis hierher kommen, puh!
Doch nun endlich: Zum Einlauf von Boris und Sam heute, am 80. Tag der Vendée Globe, ist auch der zweite schwere Sturm durchgezogen. Die Durchfahrt zwischen Atlantik und eigentlichem Hafen, der Chenal, ist endlich wieder offen.
Dank des Engagements von zwei super-sympathischen Mitarbeiterinnen des Veranstalters bekommen wir nicht nur wieder Zugang auf dem Anlegeponton mit dem roten Teppich, sondern die Möglichkeit, mit einem der Presseschiffe rauszufahren und die beiden Seehelden dort in Empfang zu nehmen, ein Traum!
Also warm eingemummelt, Fußwärmer in die Stiefel, regenfeste Hose und Jacke an, Handschuhe, Mütze, Rettungsweste drüber – ich fühle mich wie ein Michelinmännchen. Rauf aufs Schiff, oben neben den Skipper, hier „Pilot“ genannt, auf die Flybridge, einen besseren Überblick gibt es nicht. Langsam geht es raus durch den Chenal und dort erfahren wir, dass wir auf das falsche Boot geraten sind. Ein Glück, denn dieses bleibt nicht in der Einfahrt, sondern fährt ganz raus, um die Profisegler draußen an der schon vor Stunden durchquerten Sturm-Ziellinie gebührend zu empfangen. Dort kreuzten sie brav hin und her, erschöpft, aber das vorherige Niedrigwasser ließ einen Landfall einfach noch nicht zu.
Doch nun sind die Bedingungen wieder „gut“. Draußen steht noch immer eine ordentliche Welle, zwei bis drei Meter, das finden sie hier „wenig“.
Wir treffen erst auf Samantha Davies und ihr rotes Boot. Auf dem dreifach gerefften Großsegel das Abbild eines afrikanischen Kindes, ist sie doch wichtigste Förderin des Projektes „Initiatives Coeur“, das Kindern zu Herzoperationen verhilft und damit ihr Leben rettet. Lautes Hupen, Bravo-Rufe – Klatschen geht nicht, denn alle haben ihre Profikameras und Handys auf sie gerichtet. Langsam nähert sich der mittlerweile große Pulk von Booten der Einfahrt, da rollt sie doch tatsächlich ihr Vorsegel noch einmal aus und gibt Gas. Der Wind fährt hinein und auf einmal nimmt ihr Rennboot richtig Fahrt auf, die Presse johlend, hupend, filmend, fotografierend hinterher. Und Sam steht auf dem Bug des rasenden Schiffes und reckt die Arme in die Höhe.
Sie darf aber noch nicht in den Chenal, denn nun ist erst Boris dran, der einige Stunden vor ihr die „ligne“ des Ziels überquert hatte und damit auch Anrecht auf eine vorrangige Einfahrt hat. Ihn holen wir nun ab. 15 oder mehr Boote begleiten seine Malizia Sea-Explorer in den Chenal. Die Gruppe nähert sich den beiden Molenköpfen, beide schwarz vor Menschenmassen. Auf dem Hinweg dachten wir noch, es würde kaum jemand kommen, so wenig Leute waren da, doch das hat sich gründlich geändert. Für die Franzosen sind diese Weltumsegler Helden und werden frenetisch gefeiert, egal woher… ob aus Deutschland, China, England oder sonstwo, auch wenn nur ein kleiner Teil der Teilnehmer nicht aus Frankreich stammt.
Mit dem Presseboot sind wir backbordseits direkt vor der Malizia und freuen uns mit Boris am Jubel der Menge. Der reißt die Arme hoch, zündet die Leuchtfackeln, bedankt sich bei den kreischenden und klatschenden Fans am Rande. Ein halbe Stunde badet er so in der Menge. Seine kleine Tochter ist mit auf dem Boot, lässt ihn kaum los, so glücklich ist sie, dass ihr Vater endlich wieder bei ihr ist, „Papa, Papa, Papa!“.
Für die letzten Meter im Hafen gibt unser Pilot Gas, damit wir rechtzeitig für das Anlagemanöver am Ponton sind und so stehen wir zum Begrüßungsritual pünktlich am roten Teppich parat.
Der Moderator kündigt Boris Hermann an, dessen Einlaufmusik ist – aus gegebenem Anlass – „Highway to Hell“!
Glückwunschrede des Regattaleiters, dann Magnum-Flasche Champagner; diesmal bekommen wir von den Schaumspritzern sogar etwas ab. Ein lautes „Hopp“ aller Zuschauer begleitet Boris‘ Sprung an Land. Interviews, Umarmungen, Gratulationen – wie sich solch ein Getümmel wohl anfühlen mag nach gut 80 Tagen der Einsamkeit?
Auf dem Weg zur Tribüne klammert sich Boris‘ Tochter an seinem Bein fest, sie kann ihren gerade wiedergewonnenen Papa nicht loslassen. Mama Birte überzeugt sie dann doch und so kann Boris die Bühne betreten. Er und Samantha werden vom Publikum begeistert gefeiert. Im Interview erzählen sie über den Funkkontakt der letzten Tage von Boot zu Boot – keiner hatte trotz aller seemännischen Erfahrungen jemals solche eine Sturmsituationen erlebt und sie berichten beide, wie wichtig dieser Funkkontakt zueinander bei solchen Bedingungen war. Zu wissen, da ist noch jemand, sich austauschen zu können, einander Halt zu geben – das ist gute Seemannschaft, auch als Konkurrenten.
Über ihre Projekte sprechen sie, die Herzoperationen und den Schutz unserer Meere. Ein Abschlussdonner der Begeisterung, dann zerstreut sich die Menge.
Und als ob sie nicht erschöpft genug wären, müssen sich die beiden am Abend noch im Festzelt der Öffentlichkeit zeigen. Dort gibt es Partystimmung, Musik, Bier, Interviews, Erklärungen zu den jeweiligen Projekten und Fotos, Fotos, Fotos.
Auch hier lässt Boris sich nichts von seiner Enttäuschung anmerken. Er, der ja als Favorit gehandelt wurde und „nur“ als zwölfter ins Ziel einlaufen konnte und früher schon sagte, dass jeglicher Platz nach dem zehnten für ihn inakzeptabel sei. Tatsächlich ist die Last auf dem Material unglaublich hoch (erst gestern verlor ein weiterer Teilnehmer seinen Mast), es kann vieles kaputt gehen und so war es auch für unseren deutschen Teilnehmer. Nicht das geeignete Wettersystem zu erwischen, eine Kollision mit irgendetwas, sicherlich auch ungute Entscheidungen, Blitzeinschlag und beschädigte Instrumente, Schäden der Halterung seines wichtigsten Segels, zum Schluss noch ein gerissenes Großsegel – da kamen auch viele Faktoren zusammen, die eben nicht alle beeinflussbar sind. Wir jedenfalls haben größte Bewunderung vor allem für diese zwei Profis, die am Ende noch diese beiden starken Stürme abwettern mussten. Überhaupt, das alles auszuhalten: Einsamkeit, Müdigkeit, Nässe, Kälte, kräftezehrende Reparaturen und möglicherweise Tod bei Scheitern… Chapeau!
Und wir? Für uns steigerten sich die Dramatik und unser Erleben in Les Sables d’Olonne täglich, ein einziges Glück. Die Fahrt auf dem Presseboot war natürlich das Highlight, auch wenn wir (wieder mal) klatschnass wurden, diesmal vom Spritzwasser, das uns über den Bug ordentlich duschte.
Nun ist es aber genug und wir fahren endlich wirklich weiter in den Süden. Das Wetter hat aufgeklart, Die südliche Atlantikküste Frankreichs und Spanien sind auch schön!
iga